Welche Themen werden uns 2020 und darüber hinaus bewegen? Der zweite Blick in die Glaskugel in unserer Reihe Ausblick 2020 kommt von Kathrin Ganz.
Die USA sind Mitten im Trump-Chaos – mit Folgen, die selbst bei einem Sieg der Demokraten im November noch lange nachwirken werden. Europa müsste sich in dieser Situation stärker als zuvor eine eigene Orientierung erarbeiten, vor allem gegenüber China und Russland. Meine Einschätzung ist, dass Europa in der Summe nicht in der Lage ist, strategisch auf diese Situation zu reagieren – weder in der Außenpolitik noch im Bereich der Technologieentwicklung und Infrastrukturen. Eine mögliche Folge: Europa wird sich provinzialisieren – was langfristig verändern wird, wie wir von hier aus uns und die Welt wahrnehmen. Das heißt auch, dass sich gesellschaftliche Spannungen in vielfältigen lokalen Konflikten entladen werden: Der Brexit wird viele Probleme nach sich ziehen, die pol regionale Unabhängigkeitsbewegungen werden ein großes Thema und auch die Faschisierung einzelner Staaten wird, so befürchte ich, voranschreiten.
Es wird ein konfliktreiches Jahrzehnt ohne klare Ordnung, in dem wir weltweit erleben müssen, wie sich die Klimakatastrophe mehr und mehr entfaltet und in dem sich sich soziale Ungleichheit weiter verschärft, das aber auch Möglichkeitsräume für dezentrale, global vernetzte Entwicklungen eröffnet. Für das Otherwise Network könnte das heißen, dass wir den Fokus verschieben sollten. Weg von den oft so seltsamen, buzzword-getriebenen Projekte der staatlichen Netz- und IT-Politik (auch wenn es immer wieder Spaß macht, sich die Ausschreibungen anzuschauen), hin zu den kleinen Initiativen, die an soziotechnischen Infrastrukturen mit gesellschaftlichem Impact arbeiten. Was entsteht dort und wie kann es gelingen, Ansätze zum Beispiel im Bereich der Partizipation oder Mobilität lokal zu implementieren und an die unterschiedliche Gegebenheiten anzupassen? Und auch hier müssen wir fragen: Wer gestaltet sie, wer investiert Geld – wenn es die öffentliche Hand nicht in ausreichendem Maße tut, was nicht zuletzt an Förderinstrumenten liegt, die stärker auf Innovationssimulation denn auf nachhaltige Infrastrukturen ausgerichtet zu sein scheinen.
Werfen wir zum Schluss einen Blick auf das Thema soziale Bewegungen. Hier erwarte ich, dass sie sich in den kommenden Jahren im großen Stil von den kulturellen und politischen Mustern und Kommunikationsweisen der Neuen Sozialen Bewegungen verabschieden. Okay Boomer – Okay Xer: Die gegenwärtigen Bewegungen werden von einer neuen Generation getragen, die bestimmte Logiken nicht mehr mit sich rumschleppen (müssen). Es wird interessant zu sehen, welche Konflikte diese Bewegungen prägen und welche Eckpfeiler sie für ihr Handeln entwickeln, natürlich auch mit Blick auf digitale Kommunikation: Bisher dienten digitale Kommunikationsmittel vor allem dazu, alte (neue Medien) nachzubauen; und oftmals ging es nicht ohne Doppelstrukturen, um die älteren und technikunfreudigen Mitstreiter*innen einzuschließen. Bei den Jüngeren ist das anders. Sie werden neue Ansätze entwickeln, um sich zu organisieren und Infrastrukturen für ihre Bewegungen zu bauen – und werden mit anderen Problemen konfrontiert sein, mit denen sie einen Umgang finden müssen. Ein Beispiel: Das Zusammenspiel von Aktivismus, Influencer Marketing und (Social) Entrepreneurship. Also schauen wir uns, wie es Katharin auf dem 36C3 mit ihrem Hongkong-Talk getan hat, Orte an, wo Menschen kollektiv handeln, um etwas zu bewegen, und dabei neue Ansätze entwickeln.