Als wir vor ein paar Wochen das Otherwise Network launchten, haben wir viel Wohlwollen und Vorschusslorbeeren geerntet. Dafür wollen wir uns herzlich bedanken und hoffen, die hohen Erwartungen nicht zu enttäuschen.
Eine Kleinigkeit, die jedoch an vielen Stellen auf Verwunderung stieß, war unser Bekenntnis zur “Transdisziplinarität“. Ob das nicht „Interdisziplinarität“ heiße, bekamen wir häufig als Reaktion.
Uns ist bewusst, dass „Interdisziplinartät“ der weitaus populärere Term ist. Wir haben aber Transdisziplinarität für unsere Art der Zusammenarbeit sehr bewusst gewählt, denn unserem Verständnis nach, sagt er noch etwas anderes aus.
Zunächst bezieht die „Interdisziplinarität“ sich eher selten auf eine allgemeine Herangehensweise an Problemstellungen, sondern auf ein – in der Realität meist zeitlich begrenztes – Projekt. Interdisziplinarität ist meist ein temporär aufrechterhaltener Modus der Zusammenarbeit, bei dem Wissenschaftler*innen unterschiedlicher Fachbereiche für die Dauer des Projektes ihre Expertise einbringen.
Das ist kein Zufall. Das akademische Wissenschaftssystem belohnt fächerübergreifende Zusammenarbeit nur punktuell. Ein temporäres interdisziplinäres Projekt macht sich zwar gut im akademischen Lebenslauf, aber wenn es zum Beispiel um Publikationen geht (Nachwievor die Hauptwährung des Wissenschaftsbetriebs) geht es oft nicht anders, als wieder in die starren Grenzen der eigenen Disziplin zurückzukehren.
Das wiederum macht sich auch inhaltlich bemerkbar. Wehe, ein Wirtschaftswissenschaftler erklärt eine Begebenheit mit einer Theorie der Sozialwissenschaft, oder schlimmer gar: andersrum. Es ist zwar nicht unvorstellbar, dass eine Kommunikationswissenschaftlerin neueste Erkenntnisse der Psychologie in ihre Thesen einbaut, oder die Politikwissenschaftlerin auf die mathematische Informationstheorie zurückgreift, aber diese Beispiele sind nicht durch Zufall rar gesät, denn sie treffen häufiger auf Widerstand statt auf Lob. Schuster, bleib bei deinem Fachgebiet. Und so sind die meisten Ergebnisse interdisziplinären Forschens auch selten ein gemeinsames Etwas, sondern eine additive Sammlung von Einzelperspektiven auf ein Thema, bei dem jeder Fach-Repräsentant auf die proporzmäßige Sichtbarkeit der eigenen Fakultät achtet.
So wollen wir nicht arbeiten.
Wir wollen uns für die Disziplinen der jeweils anderen öffnen und eine gemeinsame Perspektive entwickeln, die möglichst viele relevante Aspekte des untersuchten Gegenstandes vereint. Die Differenzen, die sich dabei zwangsläufig auch ergeben, versuchen wir in internen – und manchmal sogar externen – Diskussionen produktiv zu machen. Uns geht es nicht immer um Konsens, sondern um Austausch und gegenseitige Anerkennung. Transdisziplinarität ist nicht fachübergreifend, sie ist fachüberschreitendes Zusammenarbeiten.
Das betrifft nicht nur die Methoden und Theorien, mit denen man sich auf ein Problem stürzt, sondern fängt schon bei der Problemstellung an. Wissenschaftliche Fragen fallen nicht vom Himmel. Sie entstehen durch die Brille disziplinärer und theoretischer Vorannahmen. Wir wollen transdisziplinäre Formulierungen zu Problemstellungen entwickeln, die uns herausfordern, die Grenzen zwischen den Disziplinen und zwischen Wissenschaft und Praxis zu überschreiten.
Und genau deswegen braucht es die unterschiedlichen Backgrounds, die wir bei OWNW versammelt haben, durchaus. Wir plädieren nicht für eine allgemeine Auflösung der Disziplinen – wir haben ihnen viel zu verdanken. Aber wir wollen ein Netzwerk sein, an dem wir über ihre Grenzen hinauswachsen. Sie sollen keine beschränkende Wirkung mehr haben, denn auch unser Untersuchungsgegenstand – der “technologische Wandel in der Gesellschaft” kennt diese Beschränkung nicht.
Gerade weil wir in unserer Zusammenarbeit nicht so sehr an institutionelle und fachliche Rahmen gebunden sind, wie es in der akademischen Welt üblich ist, haben wir die Möglichkeit weiter zu gehen. Trotz unserer unterschiedlichen Ausbildungen sehen wir uns nicht als Repräsentanten unserer Fächer. Wir sind auch nicht abhängig von externen Reputationssystemen, müssen keinen Zitierzirkeln Tribut zollen, müssen uns überhaupt wenig Gedanken über institutionelle Grenzen machen. Wir glauben, darin liegt eine Chance.
TL;DR: Interdisziplinarität bedeutet über Disziplingrenzen hinweg zusammenzuarbeiten. Transdisziplinarität bedeutet im Idealfall diese Grenzen einzureißen.